Thesen zum Buch „Change Management Workbook“ – erschienen im Juni 2020 im Hanser-Verlag, münchen – Teil2
In unserem Buch-Beitrag „Anlässe, Ansätze und Anwendungen“ ist eine weitere wichtige Hypothese enthalten, die die klassischen Ansätze von Change-Projekten bzw. -Prozessen als nicht mehr zeitgemäß charakterisieren: Change-Management wird auch weiterhin Aspekte wie Planung, Steuerung, Kommunikation und die Mitwirkung der Menschen umfassen. Allerdings muß es in einer Welt, in der immer weniger vorausbestimmbar ist (s. die Corona-Pandemie), ein anderes Planungs-Paradigma geben: statt klare Ziele, immer wieder neu-geplante Schritte auf durchdachten Wegen mit bekannten Instrumenten wird es eher darum gehen, sich auf unsicherem Gelände zu orientieren, lediglich die nächsten Schritte, also eher kurzfristig zu planen und sofort nach oder schon während der Erprobung den Raum für die Reflexion auf verschiedenen Ebenen zu geben bzw. sich zu nehmen und ggfs. Anpassungs-Prozesse in gang zu setzen. Der Change muß sich also lösen von durchgängig geplanten „Architekturen“, exakt geklärten Rollen und bekannten Rezepten für das Vorgehen. Dazu braucht es natürlich eine offene Kommunikation, die Bereitschaft, seine Hypothesen über die Wirkung bestimmter Maßnahmen/Schritte offenzulegen und bei Verwerfen der Hypothese auch „zurückzurudern“ und neue Wege zu gehen.
Das klingt nach „agil“, wurde im Change Management aber schon lange vor Aufkommen dieser Welle diskutiert und angewendet. Allerdings macht man im Change Management von heute die Erfahrung, dass es nach wie vor eine große Attraktion gibt in klassische Planungszyklen zurückzufallen und dann nicht da zu landen, wo man hingeplant hatte. Dem kann man entgehen, indem man sich darauf einlässt, mit den vorhandenen Ressourcen einfach loszugehen und sich gegenseitig darin stärkt, dass das was bringt – auch wenn andere im Unternehmen einen als „Spinner“ charakterisieren. Das zeigt, dass es dann Mut, Ausdauer, Cleverness und ein tieferes Verständnis von der Dynamik in einer sozialen Organisation braucht und die Bereitschaft, möglichst unterschiedlich denkende und open-minded Menschen mitzunehmen und mit denen zusammen immer wieder darüber nachzudenken, wie man das Fortkommen in dem ausgewählten Bereich für die Veränderung voranbringt und in der Organisation die Bedeutung dieses Fortkommens für die Gesamtorganisation hervorhebt.
Damit wird deutlich, wie stark es auf den Austausch und das Commitment über die oben skizzierte Vorgehensweise ankommt und damit auch auf die Bereitschaft von Belegschafts-Teilen zu folgen und nicht in Lethargie oder Opposition zu verfallen, weil es keinen klaren Plan oder kein festes Ziel gibt. Insofern ist es dringend notwendig, sich in eine Vertiefung zum Thema Kommunikation im Change zu begeben. Und dieser „mindset“ – schon lange und immer wieder eingefordert, aber häufig nicht verstanden, geschweige denn erreicht – wird keineswegs über Trainings herbeigeführt, sondern über einbeziehen, handeln, ausprobieren, darüber reden. (s. dazu auch die wegweisenden Ausarbeitungen zum Thema „Komplexität“ bei Borchert u.a.).
Ironischerweise spielt uns hier unser derzeitiges Erleben mit Corona in die Hände, weil sich hier wunderbar zeigen lässt, dass es ganz falsch wäre auf noch mehr Studien und darauf basierende Pläne zu warten – vielmehr ist es richtig, sich auf diese chaotische Situation so einzustellen, dass man einerseits so wenig Tote wie möglich riskiert und dass man andererseits unser Gesundheitssystem mit seinen Ressourcen einsatzfähig hält. Das muß verkoppelt werden mit dem Vertrauen in diejenigen, die die Fakten kennen und mit dem Zutrauen, dass jeder mündige Bürger seinen Teil der Verantwortung erkennt, am gemeinsamen Strang zieht und entsprechend handelt.
Das erinnert uns an die sehr bekannten Experimente von Dörner (…): dort wird nachgewiesen, dass wir als Menschen große Probleme haben, uns in komplexen Situationen zurechtzufinden, für die wir keine Handlungsanleitungen gelernt haben.
Das bedeutet – was wir auch schon länger aus der Hirnforschung wissen – dass wir in chaotischen oder komplexen Situationen schlecht beraten sind, mit den altbekannten Denkschablonen und „Konzepten“ agieren zu wollen; vielmehr wäre es einerseits nützlich, einen von Scharmer (2009) so genannten „Reload“ unserer Wahrnehmung mit Hilfe anderer Denkmodelle zu vollziehen und darüber eine andere Interpretation dessen, was wir als „die betriebliche Wirklichkeit“ sehen, zu ermöglichen. Und andererseits wäre nützlich, uns mehr auf das „Unbewußte“ einzulassen, weil uns das im Ernstfall schneller Hinweise auf angemessenes Handeln gibt, als unser bewusstes Denksystem (s. dazu z.B. Gigerenzer, 2007).
Das würde aber voraussetzen, stärker mit der dialogischen Kommunikation, die mit einer grundsätzlichen Neugier auf verschiedene Sichtweisen und neue Erkenntnisse verbunden ist, zu arbeiten und viel stärker die Prozesse in einer Organisation als ständiges Optimierungs-Kontinuum zu begreifen, um daraus der Selbst-Optimierung mit Hilfe passender Hypothesen und Handlungsanleitungen zur Umsetzung zu verhelfen.
Dazu bei der nächsten These mehr…
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